360 Grad: Wie der Hase Ostern sieht.
Wer kennt sie nicht, die ungeduldige Suche nach den Ostereiern, die oft spannender ist als das Finden. Zwar weiß man häufig nicht genau, wo der Hase läuft, aber die alljährliche Hoffnung auf bunte Eier im Osternest erfüllt sich meist und lässt auf einen zuverlässigen Lieferservice schließen. Aus augenoptischer Sicht ist das keine Selbstverständlichkeit. Der vermeintlich so beliebte Verzehr von Möhren mit ihrem augenfreundlichen Beta-Carotin spricht zwar für ein ausgezeichnetes Sehvermögen der Gattung Hase, doch die Wahrheit sieht anders aus.
Denn Hasen sind weitsichtig. 0,5 bis 1 Dioptrien lautet die wissenschaftliche Diagnose, Ursache ist eine Hornhautverkrümmung. Deshalb können Hasen und Häsinnen ihre Ziele in der Ferne noch gut erkennen, aber je näher sie kommen, desto schlechter nehmen sie vor allem unbewegliche Objekte wahr. Dazu gehört zweifellos das Osternest, das still und stumm auf seinen Inhalt wartet. Wenn es dem Hasen dank seines guten Tast- und Spürsinns gelungen ist, das Nest zu füllen, darf man farbästhetisch nicht zu anspruchsvoll sein. Die „Häschenschule“ für das frühe Lesealter berichtet zwar von der intensiven Schulung junger Hasen im Bemalen von Eiern und österlichen Gegenständen, aber es bleibt die Tatsache, dass Hasen Farben gar nicht so gut wahrnehmen können. Biologisch gesehen sind sie nämlich „Dichromaten“. Das klingt gefährlich, ist aber nur die Bezeichnung dafür, dass sie, wie viele Tiere, nur zwei Arten von Sehzapfen haben statt drei, wie wir Menschen sie normalerweise haben. Genau genommen haben Hase und Kaninchen S-Zapfen, die violett-blaues Licht sichtbar machen, und M-Zapfen, die grünes Licht wahrnehmen. Im Gegensatz zum Menschen gibt es jedoch keinen L-Zapfen für rotes Licht. Deshalb können die Hasen Rot und Grün kaum unterscheiden, so dass man sich über seltsame Farbkombinationen im Osternest nicht wundern sollte. Die Bescherung ist jedenfalls gut gemeint und verlangt dem lepus paschalis (so der lateinische Name des Osterhasen) schon viele Wochen im Voraus alles ab. Da ist es nur zu begrüßen, wenn in Kindergärten, Schulen und am heimischen Basteltisch dem Hasenvolk hilfreich unter die Arme gegriffen wird. Schließlich geht es für den Hasen auch um die Sicherung seines Liefermonopols, das nicht immer selbstverständlich war. Früher gingen die großen Aufträge schon an den Hahn, den Storch und zeitweise sogar an den Fuchs.
Wer den Hasen beobachten will, muss übrigens früh aufstehen. Hasen sind dämmerungsaktive Tiere und sehr lichtempfindlich. Sie können sich in der Dämmerung und im Dunkeln viel besser orientieren als wir Menschen. Das liegt daran, dass sie ihre Pupille nicht wie wir je nach Lichteinfall verengen oder weiten können, sondern immer mit einer riesigen Pupille durchs Leben gehen. Angst vor Fressfeinden oder Eierdieben brauchen sie auch in der Dämmerung nicht zu haben. Ihre großen, hervorstehenden Augen an der Kopfseite ermöglichen einen 360 Grad Rundumblick. So können sie Feinde aus der Luft und aus der Umgebung sehr schnell erkennen. Übrigens ist auch der Geruchssinn gut entwickelt. Wenn also viele bunte Eier im Osternest liegen, heißt das vielleicht: „Ich kann dich gut riechen“.
Wer dazu beitragen möchte, dass der Hase auch in diesem Jahr sein Ziel nicht verfehlt, legt vielleicht etwas Möhrengrün! oder Löwenzahn in die Nähe des Nestes. Mit seinen 17.000 Geschmacksknospen ist der Hase ein echter Feinschmecker und liebt kulinarische Überraschungen. Aber Vorsicht: Möhren selbst sind wider Erwarten nicht die optimale Nahrung für Hasen und Kaninchen und können im Übermaß sogar zu Magenverstimmungen führen. Wer braucht das schon zu Ostern...